Keine Rückschritte Wenn schon Wehrpflicht, dann für alle Geschlechter
Meinung | Düsseldorf · Boris Pistorius spricht von einem neuen Wehrdienst ab 2025. Für Männer verpflichtend, für Frauen freiwillig. Es entfacht eine Debatte über Gleichberechtigung, die erneut die Rolle der Frau infrage stellt und andere Geschlechter gar völlig vergisst.
14.06.2024, 11:01 Uhr
Verteidigungsminister Boris Pistorius führt einen neuen Wehrdienst ein. Zumindest für die Männer. „Man muss davon ausgehen, dass Russland ab 2029 militärisch in der Lage seien wird, einen Nato-Staat anzugreifen“, sagte er am Mittwoch. Damit es so weit gar nicht erst kommt, soll es mehr Soldaten geben. Ab 2025 sollen alle 18-Jährigen einen Fragebogen ausfüllen, um zu einer Musterung eingeladen werden zu können. Verpflichtend ist das allerdings nur für Männer. Frauen dürfen ihn zwar freiwillig auch ausfüllen, doch Artikel 12a im Grundgesetz sieht vor, dass nur Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können.
„Wehrpflicht für Frauen? Das ist nicht gerecht“ meint unser Politikchef Martin Kessler– das Stück lesen sie hier.
Das entfacht eine Debatte über die hypothetische Frage: Wenn es zu einem Angriff auf die Nato-Staaten kommt, sollten Männer und Frauen dann gleichermaßen verpflichtet werden? Mal abgesehen, von den Antworten, die darauf gefunden werden, ist selbst die Frage rückschrittlich und geschlechterdiskriminierend. Viel eher sollte sie lauten: Wie kann es sein, dass Aufgaben immer noch Geschlechtern zugeordnet werden?
Männern allein aufgrund ihrer Anatomie immer noch Attribute wie Stärke, Disziplin und Mut zuzuschreiben, hat nichts mit biologischen, sondern mit sozial konstruierten Geschlechterrollen zu tun. Diese sind allgegenwärtig und widersprechen jeglicher Art von individueller Persönlichkeitsentwicklung. Denn wir nehmen Männern damit den Raum, zu sein wie sie sind, und bitte schon gar nicht emotional, sensibel und eher unsportlich. Ausschließlich Männer in den Streitkräften zu verpflichten, gibt das Signal: Was Kampf, Führung und das Beschützen der Schwächeren angeht, sind Männer in der Bringschuld.
Noch schlimmer ist es, im Jahr 2024 allein aufgrund seines weiblichen Geschlechtes ausgeschlossen zu werden – und das, obwohl mittlerweile mehr als 13 Prozent der militärischen Angehörigen der Bundeswehr Frauen sind. Diese Frauen haben sich das hart erkämpft: Erst seit 2001 dürfen sich Frauen freiwillig in allen Laufbahnen der Bundeswehr zum Dienst melden. Verpflichtet werden dürfen sie (im Gegensatz zu Männern) laut Artikel 12a nur in zivilen Sanitätseinrichtungen. Ihnen und ihrer Leistung für Deutschlands Verteidigung muss Respekt gezollt werden. Das Gegenteil ist der Fall, wenn Frauen nicht verpflichtet werden können und weiter suggeriert wird, Frauen könnten nicht beschützen, sondern müssten beschützt werden.
Manch einer mag argumentieren, nur Männer wären körperlich für bestimmte Aufgaben in der Bundeswehr geschaffen. Wenn wir aber alle Geschlechter gleichwertig betrachten, was im Sinne der Geschlechtergleichstellung unumgänglich ist, ist dies nicht konsequent zu Ende gedacht: Es gibt Männer, die körperlich schwächer und untrainierter sind als Frauen, es gibt Transmänner mit einem biologisch weiblichen Körper, die stärker sind als andere Männer. Und – das mag nun die konservativen Verfechter der binären Geschlechterordnung völlig aus der Bahn werfen – es gibt auch menstruierende, gebärende Männer. Wo wir beim Stichwort wären. Denn was in der Debatte um die Wehrpflicht völlig zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Das ist ernüchternd. Aber es gibt keinen Grund, diese von der Wehrpflicht auszuschließen.
Lesen Sie hier die Gegenargumente: Warum Frauen nicht zum Wehrdienst verpflichtet werden sollten.
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